Hanseatisches Oberlandesgericht
2. Strafsenat

2-30/09(REV)
1 Ss 77/09

[Eigene Leitsätze] [Faksimile]

B e s c h l u s s

725b - 217/06

3201 Js 218/06


In der Strafsache


gegen


Ingo K

geboren am ... September 1945 in Hamburg

Verteidiger:

Rechtsanwalt Ammermann, GK: 696


Nebenklägerin:

Petra Ulrike Christine K, geb. L

vertreten durch

Rechtsanwalt Breu, GK: 175


hier betreffend Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil der Abteilung 725b des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 24. Juli 2008


hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg am 29. April 2010 durch


den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Harder

die Richterin am Oberlandesgericht Schlage

die Richterin am Landgericht Dr. Hofer-Bodenburg


einstimmig gem. § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:


Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek, Abteilung 725b, vom 24. Juli 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. [-2-]

Das Verfahren wird eingestellt, soweit dem Angeklagten zur Last liegt, vom 27. Februar 2006 bis zum 3. März 2006 sich anordnungswidrig vor dem Grundstück ..., Hamburg, aufgehalten zu haben (Fälle 1 bis 3 der Anklageschrift vom 23. Mai 2006). Insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die ausscheidbaren notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.


Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung — auch über die Kosten der Revision — an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek zurückverwiesen.


Gründe:

I.

Mit Anklageschrift vom 23. Mai 2006 (Az.: 3201 Js 218/06) ist dem Angeklagten vorgeworfen worden,

„in Hamburg in der Zeit vom 27.02.2006 bis 03.03.2006 durch drei selbständige Handlungen einer bestimmten vollstreckbaren Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gewaltschutzgesetzes zuwidergehandelt zu haben, indem er 1. - 3. sich in dem o.g. Zeitraum zu mindestens drei verschiedenen, nicht naher bekannten Zeitpunkten vor dem Grundstück des Hauses ..., Wohnung der von dem Beschuldigten getrennt lebenden Ehefrau Petra K. aufhielt und die Zeugin Petra K. sowie deren Kinder beobachtete, obwohl das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek dem Beschuldigten mit Beschluss vom 20.02.2004, welcher dem Prozessvertreter des Beschuldigten am 23.02.2004 zugestellt wurde, untersagte, sich im Umkreis von 100 m Entfernung von der Wohnung der Zeugin K. aufzuhalten" , und damit gegen § 4 i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 Gewaltschutzgesetz verstoßen zu haben. Das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek, Abteilung 725b, hat durch Beschluss vom 18. Oktober 2006 dieses Verfahren (Az.: 725b Ds 3201 Js 218/06 - 217/06) und ein Verfahren, dem eine Anklageschrift vom 27. September 2006 (Az.: 725b Ds 3201 Js 330/06) mit dem Vorwurf eines Verstoßes am 6. Juni 2006 gegen §§ 1, 4 Gewaltschutzgesetz zum Nachteil Petra K. zugrunde lag, verbunden sowie mit Beschluss vom 4. Dezember 2006 das Hauptverfahren eröffnet und beide Anklagen unverändert zur Hauptverhandlung vor dem Strafrichter zugelassen. Die Geschädigte hat sowohl am 16. Februar 2007 als auch unter dem 28. März 2007, eingegangen am 30. März 2007, den Anschluss als Nebenklägerin erklärt. [-3-]

Eine am 21. März 2007 erhobene und dem Angeklagten am 28. März 2007 zugestellte weitere Anklage vom 14. März 2007 (Az.: 3201 Js 13/07), mit der dem Angeklagten jeweils ein Verstoß gegen §§ 1, 4 Gewaltschutzgesetz am 25. August 2006 sowie am 16. und 29. November 2006 wiederum zum Nachteil Petra K. vorgeworfen wurde, hat das Amtsgericht mit Eröffnungsbeschluss vom 20. April 2007 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Verfahren mit dem schon anhängigen Hauptverfahren verbunden.

Mit Beschluss vom 12. Juli 2007 hat das Amtsgericht eine Anschlussbefugnis der „Zeugin“ K. hinsichtlich der Anklagen vom 23. Mai und 27. September 2006 festgestellt. Am 14. September 2007 hat es im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Beiordnung von Rechtsanwalt Breu für die „Zeugin“ (gemeint ausweislich der Gründe: Nebenklägerin) ausgesprochen.

Das Amtsgericht hat — nach entsprechendem Antrag der Staatsanwaltschaft — den Angeklagten mit Urteil vom 24. Juli 2008 von sämtlichen Tatvorwürfen aus rechtlichen Gründen freigesprochen, weil die einstweilige Anordnung des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek — Familiengericht — vom 20. Februar 2004 zum Zeitpunkt der angeklagten Zuwiderhandlungen nicht mehr vollstreckbar gewesen sei. Gegen dieses ihr zuvor noch nicht bekannt gegebene Urteil hat die Nebenklägerin am 18. August 2008 Rechtsmittel eingelegt. Dieses hat sie nach am 28. August 2008 erfolgter Zustellung des schriftlichen Urteils an Rechtsanwalt Breu durch diesen am 29. September 2008 als Revision konkre-tisiert und die Revision zugleich mit dem Antrag auf Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache sowie mit der Sachrüge und Verfahrensrügen begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf Verwerfung der Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO angetragen.

II.

Die Sprungrevision der Nebenklägerin ist zulässig und hat schon mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg. Sie führt zur Urteilsaufhebung mit den Feststellungen sowie hinsichtlich der in der Anklageschrift vom 23. Mai 2006 bezeichneten drei Taten zur Verfahrenseinstellung und im übrigen zur Zurückverweisung an das Amtsgericht. Auf die von der Nebenklägerin erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht an. [-4-}

1.

Die Revision der Nebenklägerin ist zulässig (§§ 335, 341, 344, 345 StPO).

a)

Das Rechtsmittel ist als Sprungrevision statthaft (§ 335 Abs. 1 StPO). Ob aus dem Umstand, dass die Staatsanwaltschaft in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung auf Freispruch angetragen hat, sich im Falle der trotzdem erfolgten Berufungseinlegung ein Annahmeerfordernis entsprechend § 313 Abs. 1 S. 2 StPO ergibt (str., vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 313 Rdn. 4 a, 4 b m.w.N.), kann dahinstehen, weil daraus keine Einschränkung für die Zulässigkeit der Revision folgte. Die Prüfung der Zulässigkeit der Sprungrevision umfasst nicht die Frage, ob die Berufung nach § 313 StPO hätte angenommen werden können; der Rechtsmittelführer kann in einem Fall, in dem die Zulässigkeit der Berufung von deren Annahme durch das Berufungsgericht abhängt, uneingeschrankt zwischen Berufung und Sprungrevision wahlen (vgl. BGHSt 40, 395, 396 f; OLG Hamm in NJW 2003, 3286, 3287; OLG Frankfurt in NStZ-RR 2003, 53; Kuckein in KK-StPO, 6. Aufl., § 335 Rdn. 16 m.w.N.)

b)

Die Geschädigte K. ist als Nebenklägerin zur Revisionseinlegung hinsichtlich aller urteilsgegenständlichen Taten berechtigt.

aa)

Der Anschluss und die Befugnis des Revisionsführers zum Anschluss als Nebenkläger, die von Amts wegen durch das Revisionsgericht selbstständig überprüft werden (BGHSt 29, 216, 217 f; 41, 288, 289; Senge in KK-StPO, 6. Aufl., § 396 Rdn. 12; Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 396 Rdn. 33), ist eine Voraussetzung der Zulässigkeit seiner Revision, da die Bestimmungen über das Recht, als Nebenkläger Revision einzulegen, zu den „Vorschriften über die Einlegung der Revision“ im Sinne des § 349 Abs. 1 StPO gehören (so schon RGSt 69, 244, 245).

Einem bereits zuvor ergangenen Zulassungsbeschluss kommt insoweit nur feststellende Bedeutung zu (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 396 Rdn. 13). Damit bleibt vorliegend unerheblich, dass das Amtsgericht die Anschlussbefugnis nur für vier der sieben urteilsgegenständlichen Taten ausgesprochen hat.

bb)

Die Geschadigte hat ihren Ausschluss als Nebenklägerin hinsichtlich aller Anklagen erklärt und ist nebenklagebefugt. [-5-]

aaa)

Die Anschlusserklärungen (§ 396 StPO) vom 16. Februar und 30. März 2007 umfassen auch die vorgeworfenen Taten vom 25. August 2006 sowie vom 16. und 29. November 2006, wie sie Gegenstand der dritten Anklageschrift vom 14. März 2007 sind.

Die Nebenklägerin hat am 16. Februar 2007 die Zulassung der Nebenklage „In Sachen 725b Ds 217/06 = 3201 Js 218/06“ beantragt und sich damit den beiden ersten Anklagen zu den vorgeworfenen Taten sowohl aus der Zeit vom 27. Februar bis zum 3. März 2006 als auch vom 6. Juni 2006 angeschlossen, denn voraufgegangen war der Verbindungsbeschluss vom 18. Oktober 2006. Unter dem 28. März 2007 — dem Tag der Zustellung der dritten Anklageschrift vom 14. März 2007 an den Angeklagten - erklärte die Nebenklägerin erneut ihren Anschluss, dieses Mal mit der Bezeichnung „In Sachen 725b Ds 217/06“, d.h. nur unter Nennung der gerichtlichen Aktenkontrollnummer und des Registerzeichens unter Weglassung des maßgeblichen Js-Aktenzeichens.

Aus. diesen Bezeichnungen der Anschlusserklärungen sowie dem zeitlichen Zusammenhang zur Erhebung der dritten Anklage wird der Wille der Geschädigten deutlich, hinsichtlich aller aufgrund ihrer Strafanzeigen angeklagten Taten als Nebenklägerin zu fungieren:

Eine bloße Wiederholung der Anschlusserklärung als sinnentleerte Verdoppelung der bereits erfolgten Erklärung des Nebenklägeranschlusses vom 14./16. Februar 2007 betreffend die beiden ersten Anklagen liegt fern. Die erneute Anschlusserklärung vom 28./30. März 2007 lässt vielmehr erkennen, dass die Nebenklägerin ihren Anschluss auch hinsichtlich der weiteren Anklageschrift vom 14. März 2007 erklären wollte. Ihr war aufgrund ihrer Strafanzeigen vom 25. August 2006 und 29. November 2006 sowie ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung am 21. November 2006 bekannt, dass ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen dieser Tatvorwürfe eingeleitet worden war. Sie ging erkennbar davon aus, dass auch diese von ihr im August 2006 und im November 2006 angezeigten Taten alsbald angeklagt werden würden. Der auf die Taten vom 25. Au- [-6-] gust 2006 sowie 16. und 29. November 2006 erstreckte Anschlusswille wird dadurch bestätigt, dass in dem anwaltlichen Schriftsatz vom 28. März 2007 — anders als in demjenigen vom 14. Februar 2007 — das Js-Aktenzeichen nicht angeführt war. Ersichtlich wollte die Geschädigte den Anschluss nunmehr auf andere als unter dem ihr bekannten und zuvor verwendeten Aktenzeichen 3201 Js 218/06 geführte Taten ausweiten, kannte das diesbezügliche neue Js-Aktenzeichen aber noch nicht und gab deshalb in Erwartung einer weiteren Verfahrensverbindung die ihr bekannte gerichtliche Aktenkontrollnummer an.

Dem steht nicht die Erklärung der Nebenklägerin in der Revisionsbegründung entgegen, sie habe sich „dem Verfahren mehrfach, zuletzt mit Schriftsatz vom 14.02.2007, angeschlossen“ (Hervorhebung durch Senat). Diese Erklärung ist hinsichtlich der Bezeichnung als letzten Schriftsatz bereits objektiv unzutreffend und nicht dahingehend zu verstehen, dass nach dem 14. Februar 2007 kein konstitutiver weiterer Anschluss erklärt worden ist. Die Auslegung ergibt die Aussage, dass die Nebenklägerin sich mehrfach hinsichtlich unterschiedlicher Tatvorwürfe angeschlossen habe.

bbb)

Die Geschädigte ist gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 1 e StPO zum Anschluss befugt, weil dem Angeklagten in allen Fällen Verstöße gegen § 4 i.V.m. § 1 Gewaltschutzgesetz zu ihrem Nachteil vorgeworfen werden.

c)

Die Nebenklägerin hat form- und fristgerecht Rechtsmittel eingelegt und dieses vor Ablauf der allenfalls durch die Urteilszustellung am 28. August 2008 in Gang gesetzten Revisionsbegründungsfrist durch anwaltlichen Schriftsatz als Revision bestimmt und begründet (§§ 341, 345, 344 StPO). Zwar ist Rechtsanwalt Breu nicht mehr beigeordneter Beistand der Nebenklägerin, weil die am 14. September 2007 durch das Amtsgericht im Rahmen der Prozesskostenhilfe ausgesprochene Beiordnung nur für den ersten Rechtszug galt (§§ 397 a Abs. 2 StPO, 119 Abs. 1 S. 1 ZPO; vgl. Meyer-Goßner, a.a.0., § 397 a Rdn. 17b). Aus einem Schreiben der Nebenklägerin vom 28. August 2008 an Rechtsanwalt Breu ergibt sich aber, dass eine aktuelle Vollmacht erteilt war. [-7-]

2.

Die Revision der Nebenklägerin ist auch begründet. Sie hat mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg und führt unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils mit den Feststellungen zur Einstellung des Verfahrens wegen Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung, soweit es die vorgeworfenen Taten aus der Zeit vom 27. Februar 2006 bis 3. März 2006 betrifft, sowie im übrigen zur Zurückverweisung der Sache, weil die Urteilsgründe hinsichtlich Feststellungen und Beweiswürdigung lückenhaft sind sowie hinsichtlich der Subsumtion von einer unrichtigen Rechtsauffassung ausgehen.

a)

Die durch eine zulässig angebrachte beliebige Rüge — hier die allgemeine Sachrüge — veranlasste Prüfung der Prozessvoraussetzungen durch das Revisionsgericht von Amts wegen führt hinsichtlich der drei vorgeworfenen Taten des Verstoßes gegen § 4 i.V.m. § 1 Gewaltschutzgesetz in der Zeit vom 27. Februar 2006 bis 3. März 2006 zur Einstellung des Verfahrens. Es fehlt hinsichtlich dieser Tatvorwürfe an der Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Anklageerhebung, weil die Tatvorwürfe in der Anklageschrift nicht ausreichend konkretisiert sind.

aa)

Eine Anklageschrift muss gemäß § 200 Abs. 1 S. 1 StPO die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau bezeichnen, dass die Identität des geschilderten Vorganges klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO gemeint ist (Umgrenzungsfunktion). Insbesondere muss sich die dem Angeschuldigten angelastete Handlung oder Unterlassung aufgrund des Anklagevorwurfs klar von anderen vergleichbaren Handlungen oder Unterlassungen desselben Täters unterscheiden lassen; es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (BGHSt 40, 44, 45 f; Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. § 200 Rdn. 18; Meyer-Goßner, a.a.O., § 200 Rdn. 7). Insbesondere bei nach allgemeiner Erfahrung oder nach den konkreten Verhältnissen häufig gleichartig wiederholbarem Geschehen wird die Tat nur durch konkrete Angaben zu Tatzeit, Tatort, Tatausführung und gegebenenfalls weiteren Individualisierungsmerkmalen hinreichend bestimmt. Je größer die Möglichkeit ist, der Täter habe verwechselbare weitere Taten begangen, desto konkreter muss die Tatschilderung erfolgen, um der Umgrenzungsfunktion der Anklage zu genügen (vgl. BGHSt 10, 137, 140; OLG Hamm in wistra 2001, 236, 237; OLG Düsseldorf [- 8 -] in NStZ-RR 1996, 275, 276; siehe auch Senatsbeschluss vom 23. Juli 2003, Az: II - 74/03, zu Serientätern).

Dieser Grundsatz erfährt eine Einschränkung vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) dahingehend, dass die mangelnde Individualisierbarkeit nicht dazu führen darf, gewichtige Lücken in der Strafverfolgung entstehen zu lassen. Ist trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten eine weitergehende Konkretisierung nicht möglich, so ist bei seriellen Handlungen dem § 200 Abs. 1 S. 1 StPO ausnahmsweise schon dadurch genügt, dass die Anklage den Geschädigten, die Grundzüge von Art und Weise der Tatbegehung, den Tatzeitraum sowie die Mindest- bzw. Höchstzahl der vorgeworfenen Taten mitteilt (BGHSt 40, 44, 46f; OLG Hamm, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.; Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, a.a.O., Rdn. 21-24).

Genügt die Anklage dieser Umgrenzungsfunktion nicht, ist sie – anders anders als bei Nichterfüllung der Informationsfunktion — unwirksam (vgl. BGHSt 40, 44, 45) und es fehlt an einer Verfahrensvoraussetzung.

bb)

Gemessen daran reichen die Angaben in der Anklageschrift vom 23. Mai 2006 nicht aus. Sie genügt nicht der Umgrenzungsfunktion einer Anklage.

aaa)

Die ergänzende Heranziehung eines wesentlichen Ermittlungsergebnisses im Sinne des § 200 Abs. 2 S. 1 StPO (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, a.a.O., m.w.N.) scheidet hier aus, da die Staatsanwaltschaft von der Möglichkeit des § 200 Abs. 2 S. 2 StPO Gebrauch gemacht hat. Damit bestimmt sich die Umgrenzung allein nach dem Anklagesatz (siehe oben Ziff. I.).

bbb)

Die Angabe lediglich einer Tatwoche („in der Zeit vom 27.02.2006 bis 03.03.2006“) mit dem Hinweis auf Aufenthalte vor dem Grundstück der Nebenklägerin ohne weitere Eingrenzungen etwa der Tattage, der Uhrzeiten, der Dauer der Aufenthalte und etwaiger Besonderheiten des genauen Aufenthaltsortes bzw. der Art der Beobachtung lässt ein gegenständlich begrenztes Hauptverfahren nicht zu. Mit den in der Anklageschrift enthaltenen Angaben sind die betroffenen Aufenthalte vor dem [-9-] Haus der Nebenklägerin nicht ausreichend gegenüber möglichen anderen Aufenthalten dort individualisiert. Das gilt insbesondere deshalb, weil der Angeklagte ausweislich der Aktenlage, die dem Revisionsgericht für die auf eine beliebige zulässige Rüge hin von Amts wegen erfolgende Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen zugänglich ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 337 Rdn. 6), verdächtig ist, wie schon in der Vergangenheit auch im Zusammenhang mit dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum weitere gleichartige Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz zum Nachteil der Nebenklägerin begangen zu haben, wodurch eine nicht bloß theoretische Möglichkeit zu mehr als nur der drei angeklagten Taten im Zeitraum vom 27. Februar bis zum 3. März 2006 indiziert ist.

Der Angeklagte wurde am 3. November 2004 durch das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek bereits einmal wegen eines Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz verurteilt, weil er am 20. Februar 2004 mit einem VW-Bus in der ...straße gestanden und das Haus der Nebenklägerin beobachtet hatte. Desweiteren wurde er mit Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 9. Februar 2006 wegen fünffachen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz verurteilt, weil er am 9. März 2005 an der Wohnung der Nebenklägerin geklingelt und in der Zeit vom 23. bis 30. November 2005 viermal Briefe auf dem Grundstück des Hauses ...straße 11 hinterlegt hatte.

Hinsichtlich folgender weiterer, von der Nebenklägerin angezeigter Vorfälle wurde im Hinblick auf die Anklageschrift vom 27. September 2006 (Az.: 3201 Js 330/06) von der weiteren Verfolgung nach § 154 Abs. 1 StPO abgesehen: Am 26. April 2006 beobachtete der Angeklagte in der Zeit von 12.15 bis 15.00 Uhr von seinem in Höhe des „Futterhauses“ an der Ahrensburger Straße geparkten Auto aus die Wohnung der Nebenklägerin; in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 2006 hinterlegte der Angeklagte Gemüse vor ihrer Haustür. Hinsichtlich des in einer Anklageschrift vom 12. Oktober 2007 (Az.: 3201 Js 217/07) enthaltenen Tatvorwurfs, sich am 12. März 2007 zwischen 13.30 und 13.50 Uhr etwa 10 Minuten vor der Wohnung der Nebenklägerin aufgehalten und das Grundstück beobachtet zu haben, lehnte das Amtsgericht Hamburg- [- 10 -] Wandsbek am 18. Juni 2008 die Eröffnung des Hauptverfahrens allein aus Rechtsgründen ab.

Vor allem hatte die Nebenklägerin in ihrer Strafanzeige vom 3.17. März 2006 ausdrücklich angegeben, der Angeklagte habe sich in der Zeit vom 27. Februar his zum 3. März 2006 „laufend“ in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung aufgehalten und dabei sie sowie ihre Kinder beobachtet. Die — durch die Staatsanwaltschaft und deren Ermittlungspersonen nicht hinterfragte — Angabe „laufender“ anordnungswidriger Aufenthalte vor dem Hausgrundstück ...straße 11 legt nahe, dass mehr als die durch Anklage angenommenen drei gleichartigen Verhaltensweisen innerhalb des durch die Nebenklägerin kalendarisch beschriebenen Zeitraumes vorgekommen sind. Welche drei aus der größeren Menge potentieller gleichartiger Taten die Staatsanwaltschaft hat verfolgen wollen, ist aus der Anklage mangels Individualisierung nicht entnehmbar.

ccc)

Der Sonderfall, in welchem wegen serieller Tatbegehung eine Individualisierung der vorgeworfenen Taten nicht möglich ist und ohne Anklagemöglichkeit gravierende Lücken in der Strafverfolgung drohen (vgl. BGHSt 40, 44, 46), liegt hier nicht vor.

Zum einen sind die Ermittlungsmöglichkeiten zur weitergehenden Konkretisierung der Tatvorwürfe nicht ausgeschöpft. Aus der Akte ergibt sich vielmehr, dass keine Nachermittlungen stattgefunden haben. Die Nebenklägerin ist nach Erstattung ihrer diesbezüglichen Strafanzeige vom 3./7. März 2006 nicht weiter zu diesen von ihr erhobenen Tatvorwürfen („laufend“) hinsichtlich konkreter Tatzeiten oder einzelner Tatmodalitäten befragt worden, was — wie ihre zeugenschaftliche Vernehmung am 20./21. November 2006 zu anderen Vorgängen zeigt — ohne weiteres möglich gewesen und angesichts der mangelnden Spezifität der Vorwürfe geboten gewesen wäre.

Zum anderen würde eine bei fehlender Individualisierbarkeit der Tatvorwürfe drohende Nichtverfolgbarkeit der Taten hier nicht ohne weiteres zu einer gravierenden Lücke im strafrechtlichen Rechtsschutzsystem [-11-] führen. Die Rechtsprechung, wonach zur Vermeidung gewichtiger Lücken in der Strafverfolgung ausnahmsweise die Beschreibung von Grundzügen der Tatbegehung der Umgrenzungsfunktion der Anklage genügt, ist entwickelt worden zu länger zurückliegenden seriellen Sexualstraftaten, an deren Einzelheiten die kindlichen Opfer sich wegen ihrer besonderen Situation und des Zeitablaufes nicht zu erinnern vermögen, und zu seriellen Vermögensstraftaten mit hohem (Gesamt-)Schaden. Damit ist die vorliegende Fallkonstellation weder nach konkretem Tatbild und persönlicher Situation des Opfers noch allgemein nach dem durch den geringen Strafrahmen des § 4 Gewaltschutzgesetz (Geldstrafe bis ein Jahr Freiheitsstrafe) vorgeprägten Strafbedürfnis vergleichbar.

cc)

Nach allem fehlt zu den Fällen 1 bis 3 aus der Anklageschrift vom 23. Mai 2006 eine Verfahrensvoraussetzung. Zwingende Folge des Fehlens einer wirksamen Anklage ist die Einstellung des Verfahrens wegen Verfahrenshindernisses (vgl. BGH in NStZ 1992, 553; OLG Hamm in StV 2008, 509, 511).

Wegen des Zusammenhanges mit den übrigen vier angeklagten Taten, hinsichtlich derer aus sachlich-rechtlichen Gründen eine Urteilsaufhebung unumgänglich ist (dazu unten lit. b), macht der Senat nicht von der Möglichkeit (h.M., vgl. Meinungsübersicht bei Meyer-Goßner, a.a.O., § 206 a Rdn. 6) Gebrauch, außerhalb der Revisionsentscheidung gemäß § 206 a StPO einzustellen, sondern hebt hinsichtlich der drei Fälle aus der Zeit vom 27. Februar 2006 bis zum 3. März 2006 gemäß § 353 Abs. 1 u. 2 StPO das amtsgerichtliche Urteil mit den Feststellungen durch Revisionsbeschluss (§ 349 Abs. 4 StPO) auf und stellt insoweit das Verfahren im Wege eigener Entscheidung (§ 354 Abs. 1 StPO) wegen endgültigen Verfahrenshindernisses ein.

Die Einstellung hat zur Folge, dass die Verfahrenskosten insoweit der Staatskasse aufzuerlegen sind (§ 467 Abs. 1 StPO). Von der Möglichkeit, die Staatskasse gemäß § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO von den (ausscheidbaren) notwendigen Auslagen des Angeklagten freizuhalten, macht der Senat keinen Gebrauch, da das Verfahrenshindernis nicht erst nach Anklageerhebung eingetreten ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 467 Rdn. 18 m.w.N.). [-12-]

b)

Das amtsgerichtliche Urteil ist zu den verbleibenden Fällen vom 6. Juni 2006, 25. August 2006 sowie 16. und 29. November 2006 sachlich-rechtlich fehlerhaft, weil die Urteilsgründe in mehrfacher Hinsicht lückenhaft sind und die Subsumtion rechtsirrig ist.

aa)

Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hatte das Urteil schon deshalb keinen Bestand, weil die Urteilsgründe den Anklagevorwurf hinsichtlich des tatsächlichen Geschehens nicht aufzeigen, sondern sich in der Angabe erschöpfen, dem Angeklagten liege zur Last, mindestens dreimal in der Zeit vom 27. Februar bis 3. März 2006 sowie am 6. Juni, 25. August, 16. November und 29. November 2006 gegen ein — festgestelltes — Verbot nach § 1 Abs. 1 Gewaltschutzgesetz „verstoßen“ zu haben.

Verfahrensrechtlich müssen die Gründe eines freisprechenden Urteils nur ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist (§ 267 Abs. 5 S. 1 StPO). Sachlich-rechtlich wird weitergehend für erforderlich gehalten, dass die Urteilsgründe den Anklagevorwurf nach Ort, Zeit und Begehungsweise aufzeigen, damit das Revisionsgericht im Abgleich von Anklage und tatrichterlich festgestellten Tatsachen prüfen kann, ob der Angeklagte sich im Rahmen der angeklagten Tat im Sinne des § 264 StPO strafbar gemacht hat (vgl. BGHSt 37, 21, 22; BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 13; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 267 Rdn. 148).

Indes nimmt das Revisionsgericht bereits auf Grund der durch eine beliebige zulässig erhobene Revisionsrüge (hier: allgemeine Sachrüge) veranlassten amtswegigen Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen Kenntnis vom Anklagevorwurf (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 337 Rdn. 6). Ob gleichwohl der aufgezeigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu folgen ist - etwa weil erst eine Darstellung des Anklagevorwurfs in den Urteilsgründen die revisionsgerichtliche Prüfung darauf eröffnet, ob das Tatgericht die Freisprechung an dem wirklichen Anklagevorwurf gemessen hat -, kann dahinstehen, weil vorliegend das amtsgerichtliche Urteil bereits wegen anderer sachlich-rechtlicher Mängel keinen Bestand haben kann: [- 13 -]

bb)

Die Feststellungen zur Sache sind lückenhaft. Sie führen weder ausdrücklich noch ihrem Zusammenhang nach Tatsachen an, die für die Subsumtion unter in Betracht kommende Straftatbestände erheblich sind.

aaa)

Das Amtsgericht hat — verstreut über den Feststellungs- und den Subsumtionsabschnitt der Urteilsgründe — festgestellt:

„Der Angeklagte war mit Petra K. verheiratet. Sie lebten schon seit 1999 getrennt. Mit Beschluss vom 20.02.2004, Geschäftsnummer 730 F 287/01, verbot das Familiengericht des Amtsgerichts Hamburg-Wändsbek dem Angeklagten im Wege einstweiliger Anordnung gemäß § 620 Nr. 7 und Nr. 9 ZPO nach § 1 Abs. 1 Gewaltschutzgesetz, die Ehefrau tätlich anzugreifen, zu misshandeln, zu beleidigen, zu bedrohen oder sonst wie zu belästigen oder sich im Umkreis von einhundert Metern der Wohnung der Ehefrau ...straße 11, 22045 Hamburg, aufzuhalten. Dabei handelte es sich um die ehemals gemeinschaftliche eheliche Wohnung, in der die Ehefrau mit den gemeinsamen Kindern lebte. Seit Mai 2005 ist die Ehe rechtskräftig geschieden. ... Die Anordnung des Familiengerichts enthielt ... keine ... Befristung.“

bbb)

Diese fragmentarischen Darlegungen vermögen weder den Freispruch noch einen Schuldspruch zu tragen.

(1)

Feststellungen zum (gegebenenfalls anordnungswidrigen) Verhalten des Angeklagten an den vier anklagegegenständlichen Tattagen enthalten die Urteilsgründe nicht. Sie beschränken sich auf die Mitteilung nur des Anklagevorwurfes, zu den bezeichneten Zeiten „gegen diese Verbote verstoßen“ zu haben, legen aber nicht dar, wie der Angeklagte nach Überzeugung des Amtsgerichts sich zu diesen Zeiten in tatsächlicher Hinsicht verhalten hat.

Darin liegt eine Feststellungslücke selbst auf der Grundlage der — rechtsfehlerhaften (siehe unten lit. dd)) — Ansicht des Amtsgerichts, die einstweilige Anordnung sei mit rechtskräftiger Beendigung des Hauptsacheverfahrens außer Kraft getreten. Zwar lässt der [- 14 -] Urteilszusammenhang erkennen, dass die einstweilige Anordnung im Scheidungsverfahren und nicht in einem gesonderten Verfahren ergangen ist, und hat das Amtsgericht ausdrücklich festgestellt, dass das Scheidungsurteil im Mai 2005 rechtskräftig geworden ist („seit Mai 2005 ist die Ehe rechtskräftig geschieden“), doch hat das Amtsgericht den Umfang seiner Kognitionspflicht verkannt. Selbst wenn, wie das Amtsgericht meint, der Straftatbestand nach § 4 Gewalt-schutzgesetz nicht erfüllt ist, können durch die angeklagten Taten im prozessualen Sinn des § 264 StPO andere Straftatbestände (etwa §§ 185, 240, 241 StGB; nicht hingegen § 238 StGB [§ 1 StGB]) verwirklicht worden sein. In Ermangelung von Feststellungen zu dem konkreten tatsächlichen Verhalten des Angeklagten in den vier Fällen ist eine revisionsgerichtliche Prüfung insoweit gehindert.

(2)

Die Feststellungen ermöglichen nicht die Prüfung, ob das Eingangsmerkmal des Straftatbestandes nach § 4 Gewaltschutzgesetz (eine bestimmte vollstreckbare Anordnung nach § 1 Abs. 1 oder 3, jeweils auch i.V.m. Abs. 2 S. 1) gegeben ist. Das Amtsgericht hat in Verkennung des Blankettcharakters und fehlender Akzessorietät des § 4 Gewaltschutzgesetz es unterlassen, Feststellungen zu den tatsächlichen Voraussetzungen der vom Familiengericht erlassenen einstweiligen Anordnung nach § 1 Gewaltschutzgesetz zu treffen.

Bei § 4 Gewaltschutzgesetz handelt es sich um eine Blankettnorm (vgl. BGHSt 51, 257, 259), deren Verbotsgehalt sich aus der zu Grunde liegenden zivilgerichtlichen Entscheidung ergibt. Daraus folgt zunächst, dass eine wirksame vollstreckbare zivilgerichtliche Anordnung vorliegen muss. Da aber § 4 Gewaltschutzgesetz nicht zugleich entscheidungsakzessorisch gestaltet ist, müssen die tatsächlichen Voraussetzungen und die materielle Rechtmäßigkeit der zivilgerichtlichen Anordnung durch das Strafgericht eigenständig ohne Bindungen an die zivilgerichtliche Entscheidung festgestellt und gewürdigt werden (im Ergebnis ebenso OLG Hamm in NStZ 2007, 486; OLG Celle in NStZ 2007, 485; Freytag in Erbs-Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, G 57, § 4 Gewaltschutzgesetz Rdn. 12); le- [- 15 -] diglich die Rechtmäßigkeit des zivilgerichtlichen Verfahrens bleibt wegen des Blankettcharakters aus der strafgerichtlichen Prüfungspflicht ausgeklammert (im Ergebnis ebenso OLG Hamm, a.a.0., 487).

Diese aus dem Wortlaut des § 4 Gewaltschutzgesetz sowie aus dem systematischen Verhältnis zwischen den §§ 1 und 4 Gewaltschutzgesetz ersichtlichen Anforderungen werden durch die Gesetzgebungsgeschichte bestätigt. Im Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung heißt es zur Strafbewehrung eines Verstoßes gegen gerichtliche Schutzanordnungen nach § 1 Gewaltschutzgesetz, der Straftatbestand nach § 4 Gewaltschutzgesetz sei nicht erfüllt, wenn sich bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der ergangenen (zivil)gerichtlichen Anordnung durch das Strafgericht herausstelle, dass die Anordnung nicht hätte ergehen dürfen, beispielsweise weil der Täter die der Anordnung zu Grunde gelegte Anlasstat nicht begangen habe (BT-Drs. 14/5429, S. 32). Eine vom Bundesrat gewünschte Klarstellung der Regierungsbegründung dahin, dass das Strafgericht bei Anwendung des § 4 Gewaltschutzgesetz nicht die Rechtmäßigkeit, sondern lediglich die Wirksamkeit der Anordnung zu überprüfen habe (BT-Drs. 14/5429, S. 39), hat die Bundesregierung ausdrücklich verweigert mit der Begründung, die zivilrechtliche Entscheidung biete auf Grund der Vorschriften der Zivilprozessordnung, insbesondere derjenigen über das Versäumnisurteil, keine Gewähr für die materielle Richtigkeit der Entscheidung (BT-Drs. 14/5429, S. 42). Im weiteren Gesetzgebungsverfahren ist eine materielle Akzessorietät nicht konturiert worden.

Für die strafrechtliche Verfolgung eines Verstoßes gegen eine einstweilige Anordnung hat das Strafgericht daher das Vorliegen aller in § 1 Gewaltschutzgesetz enthaltenen Tatbestandsmerkmale selbst festzustellen. Es muss auf Grund eigener Tatsachenfeststellungen im Falle des § 1 Abs. 1 Gewaltschutzgesetz insbesondere die vorsätz- [-16-} liche widerrechtliche Verletzung von Körper, Gesundheit oder Freiheit einer anderen Person sowie die Verhaltnismäßigkeit der getroffenen Anordnung bewerten. Um dem Revisionsgericht die Überprüfung der strafgerichtlichen Entscheidung zu ermöglichen, ist deshalb der der zivilgerichtlichen Anordnung zu Grunde liegende Sachverhalt in den Gründen des Strafurteils darzustellen (vgl. OLG Celle, a.a.0.).

Daran fehlt es vorliegend. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils enthalten keinerlei Angaben zu den Begebenheiten, die zum Erlass der Anordnung geführt haben. Damit ist nicht bewertbar, ob die vom Familiengericht angeordneten Maßnahmen rechtmäßig sind.

(3)

Die Feststellungen sind auch insoweit lückenhaft, als sich aus ihnen nicht ergibt, ob die einstweilige Anordnung des Familiengerichts im Sinne des § 4 Gewaltschutzgesetz vollstreckbar war (zum anwendbaren Verfahrensrecht vgl. Weber in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., Vorb § 64 b Rdn. 9 f).

Eine vollstreckbare Anordnung nach §§ 1, 4 Gewaltschutzgesetz setzt grundsätzlich voraus, dass diese dem Angeklagten gegenüber wirksam geworden ist. Dies geschieht durch Zustellung. Insoweit ist die Zustellung Wirksamkeitsvoraussetzung und damit Voraussetzung für die Strafbarkeit nach § 4 Gewaltschutzgesetz (BGH in NJW 2007, 1605). Die Zustellung war auch nicht nach dem im Jahre 2004 geltenden § 64 b Abs. 3 FGG entbehrlich, da zum einen nicht festgestellt ist, dass das Familiengericht die Vollziehung der einstweiligen Anordnung vor ihrer Zustellung an den Antragsgegner bestimmt hat (§ 64 b Abs. 3 S. 3 FGG), sowie zum anderen § 64 b Abs. 3 S. 6 FGG mit dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung im Fall des — im Übrigen hier nicht festgestellten — Erlasses ohne mündliche Verhandlung nur den Zustellungsauftrag, nicht aber die Zustellung selbst fingiert (Weber, a.a.0., § 64 b Rdn. 32). Im Übrigen scheidet schon mangels Feststellungen dazu, ob mündlich verhandelt worden ist, ein Wirksamwerden mit Übergabe an die [-17-] Geschäftsstelle zwecks Bekanntmachung (§ 64 b Abs. 3 S. 4 FGG) aus.

Somit erforderliche Feststellungen dazu, ob und gegebenenfalls wann die einstweilige Anordnung dem Angeklagten zugestellt worden ist, enthält das amtsgerichtliche Urteil nicht. Im Übrigen wären Feststellungen zu Bekanntgabe oder anderweitiger Kenntniserlangung unabhängig von der zivilprozessualen Rechtslage auch deshalb erforderlich, um die Erfüllung des subjektiven Tatbestands für ein nur vorsätzlich zu verwirklichendes Vergehen nach § 4 Gewaltschutzgesetz nachprüfbar zu machen.

cc)

Soweit das Amtsgericht überhaupt Feststellungen getroffen hat, ist das Urteil sachlich-rechtlich fehlerhaft, weil es an jeglicher Darlegung tatrichterlicher Beweiswürdigung fehlt. Weder ausdrücklich noch dem Zusammenhang nach geben die Urteilsgründe an, ob und wie der Angeklagte sich eingelassen hat sowie auf Grund welcher Beweiserwägungen das Amtsgericht seine Überzeugung von Erlass und Inhalt der einstweiligen Anordnung, von deren Nichtbefristung und von der rechtskräftigen Scheidung der Ehe gewonnen hat. Damit ist die erforderliche revisionsgerichtliche Prüfung, ob der Freispruch auf einer rechtsfehlerfreien Beweisgrundlage erfolgt ist, gehindert (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7 und 13; Gollwitzer, a.a.O., § 267 Rdn. 150 m.w.N.).

dd)

Die — in Anlehnung an eine Einzelrichterentscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts, 1. Familiensenat, vom 24. April 2008 vertretene — Auffassung des Amtsgerichts, die einstweilige Anordnung des Familiengerichts vom 20. Februar 2004 sei mit rechtskräftigem Abschluss des Scheidungsverfahrens als Hauptsacheverfahren außer Kraft getreten, ist rechtsfehlerhaft (nachstehend lit. aaa)). Soweit sich aus den insoweit nicht eindeutigen Subsumtionserwägungen des Amtsgerichts ergeben sollte, dass auch das Fehlen einer Befristung der einstweiligen Anordnung die Nichterfüllung des Straftatbestandes nach § 4 Gewaltschutzgesetz nach sich zieht, wäre auch diese Ansicht rechtsfehlerhaft (nachstehend lit. bbb)).

aaa)

Im Scheidungsverfahren ergangene einstweilige Anordnungen — hier ge- [- 18 -] mäß § 620 Nr. 7 und 9 ZPO in der für den maßgeblichen Zeitraum 2004 bis 2006 anwendbaren alten Fassung — gelten gemaB § 620 f Abs. 1 S. 1 ZPO a.F. grundsätzlich bis zum Wirksamwerden anderweitiger Regelungen fort. Der Abschluss des familienrechtlichen Hauptsacheverfahrens stellt in casu keine derartige anderweitige Regelung dar.

Voraussetzung für das Außerkrafttreten einer einstweiligen Anordnung in Abhdngigkeit von einem Hauptsacheverfahren ist die Deckungsgleichheit in sachlicher und zeitlicher Hinsicht zwischen dem Gegenstand der einstweiligen Anordnung und dem Gegenstand der Entscheidung in der Hauptsache (vgl. Philippi in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 620 f Rdn. 12; Gießler/Soyka, Vorlaufiger Rechtsschutz in Ehe-, Familien- und Kindschaftssachen, 4. Aufl., Rdn. 213). Besteht inhaltliche Inkongruenz zwischen der einstweiligen Anordnung und der anderweitigen Regelung, so behält die einstweilige Anordnung Bestand, damit kein regelungsloser Zustand eintritt und die Partei nicht gedrängt wird, ein Hauptsachever-fahren einzuleiten (Gießler/Soyka, a.a.0., Rdn. 209).

Vorliegend besteht Inkongruenz. Das nur prozessual mit dem Schei-dungsverfahren verknüpfte Eilverfahren nach dem Gewaltschutzgesetz und das Hauptsacheverfahren der Ehescheidung haben keinen deckungsgleichen Verfahrensgegenstand. Die Unterlassungsgebote nach dem Gewaltschutzgesetz stellen sachlich etwas anderes dar als die Ehescheidung, so dass sie nicht mit Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung außer Kraft treten, um keinen regelungslosen Zustand hinsichtlich des Verbots eintreten zu lassen.

Dem entspricht es, dass eine schematische Befristung der einstweiligen Anordnung auf den Zeitpunkt der Rechtskraft des Scheidungsurteils unzulässig ist, weil sie dem Zweck des § 620 f ZPO a.F. widerspricht (h.M., vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zu § 620 f ZPO i.d.F. des 1. EheRG in BT-Drs. 7/650, S. 201 f; Gießler/Soyka, a.a.0., Rdn. 142; van Els in FamRZ 1990, 581, 582; Finger in MünchKommZPO, 2. Aufl., § 620 Rdn. 38). [- 19 -]

bbb)

Gemäß § 1 Abs. 1. S. 2 Gewaltschutzgesetz soll die Anordnung befristet werden; die Frist kann verlängert werden. Diese für die Hauptsacheentscheidung normierte Regel gilt erst recht für eine nur vorläufige Maßnahme (vgl. OLG Naumburg in ZFE 2005, 35). Aus dem Zusammenhang der amtsgerichtlichen Feststellungen wird (noch) erkennbar, dass vorliegend eine Befristung unterblieben ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Anordnung unwirksam wäre.

§ 1 Abs. 1 S. 2 Gewaltschutzgesetz enthält eine bloße Soll-Vorschrift. Die Befristung ist dazu bestimmt, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit einer Verletzung des Übermaßverbotes vorzubeugen (vgl. OLG Celle in NJW-RR 2009, 1307, 1308; OLG Celle in NStZ 2007, 485, 486; OLG Oldenburg in NStZ 2005, 411, 412; Brudermüller in Palandt, BGB, 69. Aufl., § 1 Gewaltschutzgesetz Rdn. 7; siehe auch Regierungsentwurf in BT-Drs. 14/5429, S. 28). Ist eine solche Vorbeugung durch zivilgerichtliche Befristung unterblieben, so hat nachträglich das Strafgericht zu entscheiden, ob der Verstoß gegen die Anordnung innerhalb einer dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechenden Frist begangen wurde (im Ergebnis ebenso OLG Celle, a.a.O.; siehe auch OLG Hamm in NStZ 2007, 486, 487).

Ob vorliegend eine Fortgeltung der im Februar 2004 angeordneten Schutzmaßnahme zu den Tatzeiten von Juni bis November 2006 noch verhältnismäßig war, entzieht sich wegen der bereits aufgezeigten und noch weiterer Feststellungslücken der Bewertung. Maßgeblich für die Bewertung der zeitlichen Erstreckung sind insbesondere Art, Intensität und Dauer derjenigen Rechtsgutverletzungen, die zu der Anordnung nach § 1 Gewaltschutzgesetz geführt haben, sowie Anzahl, Art und Gewicht etwaiger nach Erlass der Anordnung verwirklichter oder angedrohter weiterer Rechtsgutverletzungen (vgl. jeweils a.a.O., Regierungsentwurf, S. 28; OLG Celle). Dass tatrichterliche Feststellungen zu den Anlasstaten fehlen, ist bereits aufgezeigt (siehe oben lit. b) bb) bbb) (2)). Zur Frage späteren Verhaltens des Angeklagten nach Erlass der einstweiligen Anordnung erweisen sich die tatrichterlichen Urteilsgründe zusätzlich als lückenhaft. Sie hindern damit die erforderliche Prüfung, ob die Fortdauer [- 20 -] der einstweiligen Anordnung zur Zeit der Verstöße unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs in die Rechte des Angeklagten gegen das Verhaltnismäßigkeitsgebot verstößt und eine Bestrafung ausscheidet.

ee)

Jedenfalls auf den unter lit. b) bb) bbb), (1), cc) und dd) aufgezeigten Rechtsfehlern beruht das angefochtene Urteil zu den Fällen vom 6. Juni, 25. August sowie 16. und 29. November 2006; wegen der unter lit. b) bb) bbb) (2), (3) aufgezeigten Lücken scheidet zusätzlich ein Freispruch aus anderen als den vom Amtsgericht genannten Gründen aus. Das Urteil ist deshalb auch zu diesen Fällen mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 1 u. 2 StPO); die Sache ist insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung — auch über die Kosten der Revision, soweit sie diese Fälle betrifft — an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).

III.

Dem neuen Tatrichter werden folgende Hinweise erteilt:

  1. Das festzustellende Verhalten des Angeklagten ist nur dann nach § 4 Gewaltschutzgesetz strafbar, wenn es einem der in der einstweiligen Anordnung konkret bezeichneten Verbote des tätlichen Angriffes, der Misshandlung, der Beleidigung und der Bedrohung der Nebenklägerin sowie des Aufenthaltes im Umkreis von 100 m um die Wohnung der Nebenklägerin in Hamburg, ...straße 11, unterfällt. Das weitere in der einstweiligen Anordnung ausgesprochene Verbot, die Nebenklägerin „sonst wie zu belästigen“, ist nicht hinreichend bestimmt im Sinne des § 4 Gewaltschutzgesetz.

    Im Falle eines Schuldspruches werden der Zeitablauf und rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen für die Rechtsfolgenentscheidung, letztere auch bei einem etwaigen Freispruch zu berücksichtigen sein.

    1. Aus der amtswegigen Prüfung von Verfahrensvoraussetzungen und -hindernissen ist dem Senat bekannt, dass nach Eröffnungsbeschlüssen vom 4. Dezember 2006 und 20. Februar 2007 das erstinstanzliche Urteil erst am 24. Juli 2008 ergangen ist. Der neue Tatrichter wird festzustellen haben, auf welchen Umständen der un- [-21-] gewöhnlich lange Zeitabstand von rund eineinhalb Jahren beruht. Eine sachliche Rechtfertigung für die lange Dauer läge nicht darin, dass im Oktober 2007 eine weitere Anklage mit gleichartigem Tatvorwurf erhoben worden ist und insoweit das Amtsgericht die Eröffnung — erst — im Juni 2008 abgelehnt hat.

      Im Anschluss an den Ablauf der Revisionsbegründungsfrist am 29. September 2008 hat es (gegebenenfalls weitere) rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen gegeben; die diesbezüglichen Verfahrenstatsachen sind dem Senat unbeschränkt zugänglich (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 46 Rdn. 127 m.w.N.). Bis zum 19. Dezember 2008 ist eine Verzögerung des Verfahrens um rund zwei Monate eingetreten, weil Kostenanträge bearbeitet wurden; die Bearbeitung hätte — zumal wegen der schon vorherigen langen Verfahrensdauer — anhand von anzulegenden Zweitakten erfolgen können, wenn eine hinreichend beschleunigte Erledigung anhand der Hauptakten nicht möglich gewesen sein sollte. Demzufolge wurde hinsichtlich der am 29. September 2008 eingegangenen Revisionsbegründung des Nebenklägervertreters erst am 2. Januar 2009 richterlich die Zustellung an den Verteidiger verfügt, nachdem die Staatsanwaltschaft auf die Unterlassung dieser gebotenen Bekanntgabe hingewiesen hatte. Die Zustellung der am 9. Januar 2009 eingegangenen Gegenerklärung des Verteidigers an den Nebenklägervertreter wurde erst am 23. Februar 2009 verfügt. Sie hatte sich durch Bemühungen um Aufklärung einer vermeintlichen Unvollständigkeit der Revisionsbegründung in der zweiten Januarhälfte 2009 und einer überflüssigen Anordnung vom 4. Februar 2009 zur erneuten Zustellung der Revisionsbegründung verzögert. Insgesamt blieb dabei ein Bearbeitungszeitraum von etwa einem halben Monat ungenutzt. Auch in der Zeit von Ende Februar bis Mitte April 2009 wurde das Verfahren nicht gefördert. Die Verzögerung vom Eingang des — durch die eine Unvollständigkeit der Revisionsbegründungsschrift thematisierende Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 10. Juli 2009 veranlassten — Wiedereinsetzungsantrages des Nebenklägervertreters am 1. September 2009 bis zum Auffinden der schon am 29. September 2008 eingegangenen vollständigen Revisionsbegründungsschrift in den Nothandakten der Staatsanwaltschaft am 16. September 2009 ist ebenfalls der Justiz auf Grund nicht ordnungsgemäßer Aktenführung anzulasten. Schließlich ist während der Anhängigkeit der Sache beim Revisionsgericht nach am 22. September 2009 erfolgter Zustellung der ergänzenden Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft an den [- 22 -] Nebenklägervertreter eine etwa viereinhalbmonatige Verzögerung eingetreten, weil der Senat vorrangige andere Verfahren zu bearbeiten hatte.

    2. Die zeitliche Erstreckung hat zweierlei Bedeutung.

      1. Ein langer zeitlicher Abstand zwischen der letzten verfahrensgegenständlichen Tat und der tatrichterlichen Aburteilung ist strafmildernd zu berücksichtigen, wenn ein Angeklagter nicht zwischenzeitlich — festzustellende — neue Taten begangen hat. Mit einem längeren nichtdelinquentem Verhalten hat sich ein Angeklagter gleichsam vorbewährt, so dass unter Gesichtspunkten der Spezialprävention er geringerer Einwirkung durch Strafe bedarf.

        Ebenfalls mildernd ist eine lange Verfahrensdauer — unabhängig davon, ob diese rechtsstaatswidrig ist — zu berücksichtigen, wenn und soweit ein Angeklagter durch die längere Belastung mit der Ungewissheit über den Verfahrensausgang und die mit dem Verfahrensablauf verbundenen Beeinträchtigungen außerhalb des Sanktionssystems belastet und beeindruckt ist. Die Verfahrensdauer zählt insoweit ab dem — festzustellenden — Zeitpunkt, zu welchem er von der Einleitung des Verfahrens erfahren hat.

        Diese Strafzumessungsgrundsätze gelten ungeachtet der so genannten Vollstreckungslösung (dazu nachstehend lit. bb)) fort (vgl. BGH-Beschluss vom 6. März 2008, Az.: 3 StR 50/07).

      2. Demgegenüber ist eine Rechtsstaatswidrigkeit der langen Verfahrensdauer für die Strafzumessung unerheblich. Insoweit kann lediglich ein Ausgleich veranlasst sein. Das bedeutet vorliegend: Soweit die Verfahrensverzögerungen sachlich unbegründet und durch Justizorgane zu verantworten sind, liegt jedenfalls in der Summierung der schon jetzt zutage liegenden Verlängerungszeitraume eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, die konventionswidrig im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK ist. Sie bedarf grundsätzlich eines Ausgleiches (vgl. allg. Fischer, a.a.O., § 46 Rdn. 121 ff. m.w.N.).. [- 23 -]

        Die kompensatorische Entschädigung eines Beschuldigten für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nach dem so genannten Vollstreckungsmodell zu erfolgen, sofern eine bloße Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zum Ausgleich der durch sie von dem Beschuldigten erlittenen Belastungen nicht ausreicht. Danach ist grundsätzlich ein angemessener Teil der Strafe als vollstreckt anzurechnen (BGHSt 52, 124, 134 ff., 146). Für die Bemessung des als vollstreckt anzurechnenden Teils der Strafe sind die Umstände des Einzelfalles entscheidend, wie etwa der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Justizorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Beschuldigten (BGH, a.a.O., 146). Da im Einzelfall es ausreichen kann, dass zur Kompensation die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung in den Urteilsgründen ausdrücklich festgestellt wird, kommt vorliegend in Betracht, auch im Falle eines etwaigen Freispruchs die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung lediglich festzustellen. Dazu werden sich die Gründe eines neuen Urteils sowohl im Falle einer Verurteilung als auch eines etwaigen Freispruches zu verhalten haben.



Ri'nOLG Schlage ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterzeichnung verhindert

Ri'nLG Dr. Hofer-Bodenburg ist wegen Erkrankung an der Unterzeichnung verhindert

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